Es ist ein lauer Sonntag Sommermorgen am 26.06.22, als der Wecker mich um 3:30 Uhr aus dem Schlaf reißt. In der Nacht zuvor hat ein kräftiger Regenschauer die Schwüle der letzten Tage vertrieben. Ich reibe mir die Augen und frage mich, was in mich geraten ist, mich freiwillig zu dieser frühen Stunde aus dem Bett zu bewegen. Dann fällt es mir wieder ein: Ich bin mit weiteren vier ehemaligen bekennenden Couch-Kartoffeln zum Mittsommer-Lauf an der Duisburger Sechsseenplatte verabredet. Der Start erfolgt um 05:17 Uhr morgens. Wie konnte es dazu kommen?

 

Rückblick: Es ist März 2022, Corona, Homeoffice und natürlich auch mangelnde Bewegung haben mir einige unerwünschte Kilos auf die Hüfte gepackt. Meine Schwägerin und Freundin Kirstin meint es vermutlich gut mit mir und ist sich selbst der Konsequenzen nicht bewusst, als sie aus einer Bierlaune heraus vorschlägt: „Hey, ich habe‘ da von diesem Anfängerlaufkurs des RWO Endurance Teams gehört. Das ist zweimal in der Woche und geht von Mitte März bis Mitte September. Wir machen damit!“ Anfangs lachen wir, am nächsten Tag melden wir uns, verbunden mit dem gegenseitigen Versprechen es durchzuziehen, an. Am 10. März finden wir uns abends im RWO Vereinsheim, zusammen mit anderen Interessierten in offensichtlich ähnlicher Situation, zum Infoabend wieder. Die Trainerinnen und Trainer Christian, Claudia und Gaby erzählen sympathisch und locker, was wir erwarten dürfen und machen bei der Beantwortung unserer Fragen einen kompetenten Eindruck. Die Stimmung entspannt sich spürbar.

 

Eine Woche später, an einem Donnerstag, finden wir uns auf der Tartanbahn im RWO Stadion wieder und werden freundlich und offen von Claudia begrüßt. Sie erklärt uns den Ablauf des heutigen ersten Kursabends. Wir starten mit einem Warm-Up, um die nur noch in Erinnerung vorhandene Muskulatur auf das Kommende vorzubereiten. Anschließend starten wir mit zehn Minuten zügigem Gehen, gefolgt von lockerem Intervall-Training von einmal eine Minute Laufen und einer Minute Gehen. Das Ganze machen wir 10-mal nacheinander, viele von uns sind von ihrer eigenen schlechten Kondition entsetzt. Natürlich sind die Leistungsstände unterschiedlich, ebenso die Altersstruktur der Gruppe, aber uns alle eint, dass wir etwas für uns und eine gesündere Lebensweise tun wollen. Das Training endet mit gemeinsamen Dehnübungen. Wir alle haben wieder ausreichend Luft geatmet und unsere Stimmen wieder gefunden, um das Dehnen mit dem ein oder anderen lockeren Spruch aufzuheitern. „Ich kann diese Dehnübung nicht machen, meine Oberschenkel sind so muskulös – äh, sorry…. muskellos!“

 

Claudia, die Trainerin ruft bereits nach dem ersten Training eine WhatsApp-Gruppe ins Leben, die dem gemeinsamen Austausch rund um das Thema Laufen dienen soll. Noch am gleichen Abend wird eine Idee gepostet, die alle Teilnehmenden dankbar aufgreifen: Jeder postet ein Foto von sich, mit dem jeweiligen Namen. Das macht die Gruppe gleich viel weniger anonym und lässt uns näher zusammenrücken. Des Weiteren werden in den nächsten Wochen die gegebenenfalls nötigen Abmeldungen für den Trainingstag bekannt gegeben. So hat jeweils die gesamte Gruppe den Überblick, wer noch zum jeweiligen Treffpunkt erscheint. Schon nach wenigen Trainingstagen rückt die Gruppe so gut zusammen, dass die ersten Verabredungen zu zusätzlichen Laufeinheiten an wechselnden Orten abgesprochen werden. Katzenvideos schickt niemand.

In den folgenden Wochen wird jeweils montags die Trainingseinheit wiederholt, donnerstags gibt es ein neues Programm. Meistens laufen wir im und um den Kaisergarten oder am Kanal. Die unterschiedlichen Trainingsstände gehen weiter auseinander, dafür hält die Gruppe immer fester zusammen. Bei den Laufeinheiten laufen die Schnelleren vor, an jeder Kreuzung oder Weggabelung drehen sie um und reihen sich kurz vor den Langsameren wieder ein. So bleibt die Gruppe trotz der unterschiedlichen Stände zusammen. Warm-up und Cool down werden selbstredend gemeinsam erledigt, nicht ohne lockere Sprüche und witzige Kommentare. Wir lachen viel. Auf die Frage, ob den Teilnehmenden der Sport Spaß macht, antworten einige mit „Klar, sonst würde ich ja nicht kommen“, andere, wie ich, mit einem ehrlichen „Nein, aber die Gruppe macht Spaß und deshalb bleibe ich dabei!“.

 

Nun haben wir also Kurshalbzeit, es ist Ende Juni, und wir sind zu fünft zum Mittsommerlauf morgens um kurz vor fünf verabredet. Die Stimmung ist gut, der Morgen dämmert und wir reihen uns gemeinsam mit den anderen Verrückten locker vor der Start- und Ziellinie auf. Wir sprechen einen Treffpunkt für später ab, denn den Lauf wird letztlich jeder in seiner eigenen Geschwindigkeit laufen. Der Startschuss fällt, die Menge von etwa 200 weiteren Läufern setzt sich in Bewegung. Die Strecke führt am See entlang, die Luft ist frisch und noch ein wenig feucht von dem Regenschauer der vergangenen Nacht. Ich laufe gemeinsam mit Tanja aus unserem Laufkurs und wir finden unser Tempo. Es dauert nicht lange und es gesellen sich zwei weitere Laufende mit gleichem Tempo zu uns. Wir quatschen und laufen, wir überholen und werden überholt und ganz plötzlich schleicht sich, zuerst diffus, dann immer klarer, so ein Gefühl ein: „Hey, wie cool ist das bitte, hier in den Sonnenaufgang laufen zu können, 5 km am Stück und ganz ohne Gehpause“. Sicher hat jeder Laufende am heutigen Tag seine eigene Zielsetzung. Der eine möchte die Strecke in unter 20 Minuten schaffen, die andere ihre persönliche Bestzeit aufstellen. Wir möchten durchkommen, in unserem eigenen Tempo und Spaß haben.  Wir laufen in Richtung Ziel, nur eine steile Brücke trennt uns noch. Als wir den Scheitelpunkt erreichen sehen wir die Sonne über dem See aufgehen. Wir traben die Brücke hinab und werden vor dem Ziel trotz der frühen Uhrzeit klatschend von einigen Zuschauer begrüßt. Jeder ist hier ein Gewinner. Hinter der Ziellinie klatschen wir uns ab und finden auch sofort unsere Freunde aus der Laufgruppe wieder. Gerne nehmen wir das Angebot der kostenlos zur Verfügung gestellten Getränke wie Wasser und Kaffee an, quatschen noch ein wenig, schießen Selfies und genießen die Atmosphäre. Unsere WhatsApp-Gruppe überschwemmen wir mit unseren Zeiten und Fotos und wir alle sind mächtig stolz. Vier von fünf sind unter die ersten Zehn in ihrer Altersklasse gekommen. Und noch am gleichen Morgen starten wir in unserer Gruppe einen Aufruf zum Halloween Run in Duisburg und zur Winterlaufserie. Die Uhr zeigt noch nicht Mittag an, als die ersten Anmeldungen vorliegen und ich bin dabei. Und wenn ihr mich fragt, ob mir das Laufen Spaß macht, ist meine Antwort „Nein, noch immer nicht, aber die Gruppe und das gemeinsame Erleben machen mir Spaß und das lässt mich dabei bleiben.“